Vor ein paar Tagen zeigten wir in der „Barrikade“ einen Film über die umstrittene Kommune ZEGG, die neben dem ganz alltäglichen Kommuneleben auch das Banner der „freien Liebe“ schon Jahrzehnte hochhält. Der Film vermittelte sehr gut die verschiedenen Probleme eines auf „freier Liebe“ basierenden Lebenskonzepts. Übrigens setze ich hier die „Freie Liebe“ nicht ohne Grund in Anführungszeichen….freie Liebe ist für den Autoren dieser Zeilen in einer unfreien Gesellschaft prinzipiell nicht möglich. Wenn überhaupt kann es nur einen Versuch geben, Ansätze der freien Liebe zu leben. Für viele Menschen ist es das wert, diesen Versuch im Hier und Jetzt zu wagen. „Polyamory“, so das neue Modewort für die „freie Liebe“ hat für eher konervativere ZeitgenossInnen oft den faden Beigeschmack von „Wegwerfbeziehungen“, wo es eigentlich nur um das „durch die Betten huschen“ gehe. Ich denke, dieser „Vorwurf“ ist in der Regel ungerechtfertigt. Auch wenn viele Beziehungen oft nur „Kissen-Freundschaften“ sind bzw. wären…auch dagegen liesse sich nichts einwenden, solange es für die Beteiligten in Ordnung geht und keine/r dabei verletzt wird. Trotz eines freieren Umgangs mit der erotischen Liebe existieren auch dort „häßliche“ Emotionen wie Eifersucht (also Besitzneid), einen Menschen für sich allein haben wollen, Verlustangst usw. Wenn materielle Abhängigkeiten in der heutigen Zeit nicht mehr wie vor ein paar Jahren noch die alles bestimmende Ursache für das Zusammenkleben von Paaren (zumeist auf Kosten der abhängigen Frau) sind, kommen aber immer noch die emotionalen „Abhängigkeiten“ hinzu, die es vielen schwer macht, loszulassen und neue Wege zu beschreiten. Warum das so ist, wird im folgenden Text sehr schön beschrieben. Eine gut funktionierende langjährige Beziehung hat durchaus eine materielle (im philosophischen Sinne materiell) Grundlage, die mensch nicht so einfach zur Seite schieben kann…
Der Text ist dem Buch „Freie Liebe – Wilde Ehe“ von Herrad Schenk entnommen (das sehr interessante Buch ist leider wohl nur noch antiquarisch erhältlich):
Zweihundert Jahre hatte es gedauert, bis im Zuge des Individualisierungsprozesses die neue abendländische Errungenschaft der Liebesehe die alte Sachehe ganz verdrängt hatte.
Kaum hatte die Liebesehe sich durchgesetzt, da sah es so aus, als könnte der Individualisierungsprozeß durch sie hindurch und über sie hinweg weitergehen. 1975 hatte Edward Shorter prophezeit:
„Die Kernfamilie zerfällt – um, wie ich glaube, durch das freischwebende Paar ersetzt zu werden, eine eheliche Dyade, die dramatischen Spannungen und Fusionen ausgesetzt ist.“ Welcher Art diese Spannungen und Fusionen sein könnten, das hat die Diskussion der späten sechziger und der siebziger Jahre gezeigt, in denen es auf einmal nicht mehr vorrangig um die Befreiung der Liebe aus dem Korsett der Institution (z.B. der Ehe) zu gehen schien, sondern um die Lösung der Sexualität vom Gefühl, um die Lösung der Frau vom Mann, um die Lösung des Individuums aus stets als einengend empfundenen Bindungen überhaupt. (mehr…)